Wer schon einmal den erfolgreichsten Film von Alfred Hitchcock angeschaut hat, dem ist ein gewisser Norman Bates nicht unbekannt. Hinter dem Namen verbirgt sich ein freundlicher, etwas wunderlicher Mann jüngeren Alters, der sich bei genauerem Hinsehen als echter »Psycho« entpuppt. Carlton Cuse, Chef-Autor und Executive Producer der Serie »Lost«, und seine Kollegin Kerry Ehrin, Drehbuchautorin für »Friday Night Lights«, hatten die Idee, eine Vorgeschichte zu Hitchcocks Meisterwerk umzusetzen. Dabei herausgekommen ist eine lose an den Kinofilm anknüpfende Fernsehserie, die die Handlung in die heutige Zeit verlagert.
Ein Projekt mit nicht unerheblichen Risiken: Schon allein die Ankündigung, in Hitchcocks Klassiker zu wildern, ist für viele Kritiker ein rotes Tuch und Grund genug, über die Einfallslosigkeit der Produktionsstudios zu lamentieren. Und dass »Psycho« auch noch eine eingefleischte Fangemeinde hat, zeigt sich unter anderem daran, dass der Film selbst im Jahr 2001, also mehr als vier Jahrzehnte nach seinem Erscheinen, vom American Film Institute auf den ersten Rang der besten amerikanischen Thriller gewählt worden ist. Dennoch scheinen Cuse und seine Kollegen alles richtig gemacht zu haben: Die Pilotfolge von »Bates Motel« erreichte im März die höchste Einschaltquote einer eigenproduzierten Serie auf dem ausstrahlenden Fernsehsender A&E und auch die restlichen neun Folgen der ersten Staffel gaben in ihrer Reichweite nur unwesentlich nach.
Ein neuer Anfang
Alles beginnt damit, dass Norma Bates (Vera Farmiga) mit ihrem 17jährigen Sohn Norman (Freddie Highmore) von Arizona nach Oregon zieht, in das kleine, verschlafene Örtchen White Pine Bay. Nach dem Tod von Normans Vater hat sie dort bei einer Zwangsversteigerung ein Motel erstanden. Recht schnell wird Norman von beliebten Mädchen der Schule entdeckt. Doch wie es wirklich um ihn steht, verrät die Antwort auf deren Frage, ob er eine Freundin habe: »No, it’s just me and my mum.«
Die Serie kann natürlich nicht Hitchcock sein. Aber zum Glück versucht sie es auch nicht angestrengt. Ganz locker werden Informationen aufgenommen, die bereits über Norma und Norman bekannt sind, liebevoll mit Details angereichert und zu einem größeren Ganzen aufgezogen. Zu diesem Zwecke kommen auch die Bewohner des Küstenstädtchens ins Spiel, die mit ihren Geheimnissen den Handlungsrahmen ausschmücken. Dass handwerklich fundiert gearbeitet wurde, zeigt sich daran, dass formale Gestaltungselemente aus der Vorlage übernommen werden: Der Schatten als zentrales Motiv steht für Bedrohung und alle handelnden Personen scheinen etwas verstecken, verbergen oder verheimlichen zu wollen.
Emmy für Vera Farmiga?
Leider wird nicht jeder Spannungsbogen geschickt zu Ende geführt – im Laufe der Staffel kommt es zu einer erzählerischen Vollbremsung und einem Neustart mit quietschenden Reifen. Eigentlich Gift für eine Serie mit fortlaufender Handlung. Dennoch sind die zehn Folgen der ersten Season stimmungsvoll und sehenswert. Das liegt vor allem an der grandiosen schauspielerischen Leistung von Vera Farmiga. Die Gratwanderung zwischen taffer Übermutti und geschundener Frauenseele gelingt ihr hervorragend. Und nur allzu gern möchte man ihr glauben, wenn sie sagt »As long as we’re together nothing bad can really happen, right Norman?«. Für ihre Darstellung wurde sie bei den Emmys mit einer Nominierung als beste Hauptdarstellerin in einer Drama-Serie bedacht.
Freddie Highmore , der die Teenager-Variante von Norman Bates verkörpert, erinnert von der Erscheinung her an den jungen Anthony Perkins. In diesem Punkt weicht die Serie genau wie Hitchcocks Film deutlich von Robert Blochs Romanvorlage ab, in der Norman Bates als dicklich und unansehnlich beschrieben wird. Highmore schafft es, dem schüchternen Jungen sowohl sympathische als auch verstörende Züge einzuhauchen. Diese Zwiespältigkeit, die in beiden Hauptfiguren so fest verankert ist, hat für den Zuschauer einen hohen Unterhaltungswert: Auf Phasen der Empathie und Identifikation folgt der klare Wunsch nach Abgrenzung.
Während in den USA bereits die zweite Staffel produziert wird, die 2014 auf Sendung gehen soll, startet bei uns in Deutschland der Universal Channel am 11. September 2013 die Ausstrahlung der ersten Staffel (mit Originalton-Option). Ich habe die Serie auf Englisch geschaut und fand die Originalstimmen grandios. Ein Blick in die Synchronsprecher-Datei verrät, dass Vera Farmiga von Victoria Sturm gesprochen wird (u.a. Lynette Scavo aus »Desperate Housewives«). Das klingt definitiv vielversprechend. Den Part von Freddie Highmore übernimmt Patrick Baehr.
Die Free-TV-Rechte liegen nach Quotenmeter-Informationen bei der Mediengruppe RTL Deutschland, was auf eine Ausstrahlung auf dem Sender RTL Nitro hinauslaufen könnte.
FAZIT Man sehe mir das Wortspiel nach, aber wer vom Original mit Shower-Szene begeistert war, der sollte sich auch an den Schauer in Serie wagen: Vera Farmigas starke Schauspielleistung ist der Hauptgrund für dieses überraschend gute Prequel.